Der Brief aus „Greene’s Groatsworth Of Wit“
 
Nach der Erzählung über einen alten „macchiavellistischen“ Wucherer Gorinus (Latinisierung des Namens Greene), der seinem jüngsten Sohn Lucanio das ganze Vermögen vermacht, seinem ältesten Sohn, dem aufsässigen Akademiker Roberto, nur einen Groschen hinterläßt, mit dem er sich etwas Lebensweisheit kaufen soll, tritt Greene persönlich an die Stelle von Roberto und wendet sich nun, angeblich auf dem Sterbebett, selbst an die Leser. Es folgt ein Teil, der sich als Anhang ausnimmt. Dieser letzte Teil enthält eine Reihe loser Schriften: ein Gedicht mit kurzem Prosastück über das eitel vertane Leben, eine Reihe von Maximen, der Brief an die drei Schriftsteller mit der Invektive gegen Shake-scene, eine Fabel über den leichtsinnigen Grashüpfer und die fleißige Ameise, schließlich Greenes Abschiedsbrief an seine Frau. Der folgende Ausschnitt enthält die Überleitung von den Maximen zu dem Brief und den vollständigen Brief selbst.
 
Und deshalb, während es mir das Leben noch erlaubt, werde ich eine Warnung an meine alten
Kameraden schicken, die ebenso drauf los gelebt haben wie ich; obwohl ich vor Schwäche
kaum noch schreiben kann, werde ich doch folgende wenige Zeilen an meine Mitakademiker
richten, die sich im Gebiet dieser Stadt aufhalten.
An jene Gentlemen, seine einstigen Bekannten, die ihre geistigen Fähigkeiten darauf verwenden,
Bühnenstücke zu schreiben; ihnen wünscht R. G. einen besseren Gebrauch davon und Weisheit,
damit sie seine Maßlosigkeit vermeiden mögen.
 
Wenn, Gentlemen, schmerzliche Erfahrung Euch dazu bewegen kann, auf der Hut zu sein,
oder unerhörtes Elend Euch Vorsicht zu lehren vermag, dann zweifle ich nicht daran, daß Ihr
auf das Leben, das ihr bisher verbrachtet, in Trauer zurückblicken werdet, um das Leben, das
kommen wird, in Reue zu verbringen. Wundere Dich nicht – denn mit Dir, berühmter
Beglücker der Tragöden, will ich anfangen –, daß Greene, der gleich Dir (wie die Toren in
ihrem Herzen) gesagt hat „Es ist kein Gott“, nun dem Herrn Ehre gibt, denn alldurchdringend
ist seine Macht, die Hand des Herrn liegt schwer auf mir, er hat mit donnernder Stimme zu mir
gesprochen und ich habe gespürt, daß er ein Gott ist, der Feinde bestrafen kann. Warum sollte
Dein hervorragender Geist, des Herrn Gabe, so verblendet sein, daß er dem Geber keine Ehre
gäbe? Ist es verseuchende macchiavellistische Politik, die Du gelernt hast? Oh irrlichternder
Wahn! Was sind dessen Vorschriften anders als wirre Narreteien, dazu angetan, in kurzer Zeit
das Menschengeschlecht auszutilgen. Denn wenn das Mein Wunsch ist Befehl in denen, die zu
befehlen berufen sind, obwaltet, und wenn es, einerlei ob gut oder böse, rechtens wäre, das zu
tun, was einem Nutzen bringt, dann sollten nur Tyrannen das Erdreich besitzen und in
gegenseitiger Überbietung an Tyrannei einander niedermetzeln, bis der stärkste von ihnen alle
anderen überlebt und der letzte Schlag dem Tod vorbehalten bleibt, um mit diesem einen
Schlag das Ende der Menschheit zu besiegeln. Der Erfinder dieses teuflischen Atheismus ist tot,
und in seinem Leben fand er nie das Glück, nach dem er trachtete; sondern da er mit List
anfing, lebte er in Furcht und endete in Verzweiflung. Wie unerforschlich sind Gottes Wege!
Dieser Mörder vieler Brüder, ihm ward wie Kain das Gewissen versengt, dieser Verräter dessen,
der sein Leben für ihn opferte, erbte Judas’ Teil, dieser Apostat siechte dahin wie Julian, und
willst Du, mein Freund, sein Schüler sein? Schau nur auf mich, der ich von ihm zu dieser
Freizügigkeit verführt wurde, und Du wirst es als höllische Sklaverei empfinden. Ich weiß, daß
die geringste meiner Missetaten dieses elende Sterben verdient, aber mutwilliges Eifern gegen
bekannte Wahrheit übertrifft alle Heimsuchungen meiner Seele. Zögere nicht wie ich bis zu
dieser äußersten Grenze, denn wenig weißt Du darüber, was Dich am Ende erwartet.
Mit Dir zusammen nenne ich den jungen Juvenal, diesen bissigen Satiriker, der neulich
gemeinsam mit mir eine Komödie geschrieben hat. Lieber Junge, darf ich Dir einen guten Rat
geben, sei gut beraten und schaffe Dir durch bittere Worte nicht viele Feinde; wettere gegen die
Eitelen, denn Du kannst es, keiner kann es besser als Du, keiner so gut wie Du; es steht Dir frei,
alle zu tadeln und keinen zu nennen; denn wird einer angesprochen, sind alle beleidigt; wird
keiner geschmäht, ist keiner gekränkt. Hindere ein stilles Wasser in seinem Lauf und es wird
toben, trete auf einen Wurm und er wird sich wenden; darum: schmähe nicht Akademiker,
wenn sie, über spitze Bemerkungen erregt, Deine allzu große Freiheit zum Tadeln mit Tadel
erwidern.
Und Du, nicht weniger verdienstvoll als die beiden anderen, in einigen Dingen seltener, in
nichts geringer, der Du, wie ich, zu extremen Ausbrüchen neigst, etwas habe ich auch Dir zu
sagen; und wäre es nicht ein abgöttischer Eid, ich könnte beim Heiligen Georg schwören, daß
Du kein besseres Los verdientest, als Dein Dasein auf solch minderwertige Weise fristen zu
müssen. Niedriger Gesinnung seid Ihr alle drei, wenn Euch mein Elend keine Warnung sei;
denn diese Kletten beabsichtigten nicht, an einem von Euch oder an mir kleben zu bleiben;
diese Puppen, meine ich, die aus unserem Munde sprechen, diese mit unseren Farben
geschmückten Trolle. Ist es nicht merkwürdig, daß Ich, zu dem sie alle dankbar aufschauten, ist
es nicht wahrscheinlich, daß Ihr, zu denen sie alle dankbar aufschauten, wäret Ihr in der Lage,
in der heute ich bin, wie ich von ihnen fallengelassen würdet? Nein, traue ihnen nicht, denn da
ist eine emporsteigende Krähe, geschmückt mit unseren Federn, einer, der mit seinem
Tigerherzen, in Schauspielerhaut gesteckt glaubt, genausogut einen Blankvers ausbombasten zu
können wie der beste von Euch; und dieser absolute Hans Dampf in allen Gassen dünkt sich
selbst der einzige Bühnenerschütterer im Lande. Oh! laß mich Euch beschwören, Euren so
seltenen Witz sinnvoller zu nutzen; und laßt doch diese Affen Eure vergangene Vorzüglichkeit
nachahmen, aber laßt sie mit Euren bewunderten Schöpfungen nie mehr Bekanntschaft
machen. Ich weiß, daß der sparsamste von Euch sich nie als Wucherer erweisen wird und der
liebenswürdigste von denen nie als liebenswürdige Pflegerin. Sucht Euch denn, während Ihr
noch könnt, bessere Meister. Denn es wäre ein Jammer, daß Eure seltenen geistigen Fähigkeiten
den Gnaden derartig roher Kammerdiener ausgeliefert wären.
Hier könnte ich noch zwei weitere einbeziehen, die beide gegen diese Steifleinenherren
geschrieben haben; aber ihre eigenen Werke mögen gegen sie selbst Zeugnis ablegen, sollten sie
damit fortfahren, solche Bauernlümmel auszuhalten. Was jene Schriftsteller betrifft, die da noch
hinzukommen werden, so überlasse ich sie der Gnade dieser bemalten Ungeheuer, die, ich
zweifle nicht daran, die besten von ihnen veranlassen werden, sie zu verachten; was die übrigen
betrifft, macht es nichts aus, wenn sie mit ihnen ihren Spott treiben.
Doch nun wende ich mich wieder an Euch drei, wissend, daß mein Elend nichts Neues für
Euch ist; und gestattet mir, Euch inständig zu wünschen, daß meine Unbill Euch eine Warnung
sein möge. Ergötzt Euch nicht wie ich an gotteslästerlichen Eiden; denn dem Hause des
Lästerers wird ein Fluch nicht weichen. Verachtet Trunkenheit, die den Geist verwüstet und
Menschen zu Tieren werden läßt. Fliehet die Lust als den Sensenmann der Seele und
beschmutzt nicht den Tempel des Heiligen Geistes. Verabscheut jene Epikureer, deren
liederliches Leben die Religion für Eure Ohren abstoßend klingen läßt. Und wenn sie Euch
einzulullen versuchen, indem sie Euch Magister nennen, gedenket Robert Greene, dem sie oft
auf diese Weise geschmeichelt haben und der jetzt mangels Trostes zugrunde geht. Denkt daran,
Gentlemen, Eure Leben sind wie so manche brennenden Kerzen, die jedem von Euch behutsam
überreicht wurden, daß Ihr sie nicht verlöschen lasset; ein einziger Windstoß des Zornes
vermag sie zu löschen, Trunkenheit zu ersticken, Fahrlässigkeit sie umzustoßen. Denn nicht ist
die Zeit, die den Menschen gegeben, an sich kurz, sondern die Sünde ist es, die sie abkürzt. Das
Feuer meiner Lampe flackert seinem Ende zu; mangels Mittel, es am Brennen zu halten, bleibt
dem Leben kein Stoff mehr, von dem es zehren könnte. Ich flehe Euch an: verlaßt Euch nicht
auf solche schwache Daseinsgrundlage, denn sie sind alle wechselhaft wie in ihren vielen
Verkleidungen. Nun, meine Hand ist ermüdet, und ich bin gezwungen, dort aufzuhören, wo
ich anfangen wollte. Doch ein ganzes Buch kann ihre Verfehlungen nicht fassen, die ich in
einige wenige Zeilen zwängen mußte.
 
Wünschend, daß Ihr lebet, obwohl selbst sterbend:
 
Robert Greene.