Robert Detobel
Othello als postdeparodierte Präparodie

Ben Jonsons 1598 uraufgeführte Komödie Every Man in His Humour verwickelt die orthodoxe Chronologie wie Laokoon in einen Kampf gegen umringende Schlangen. Beide, Laokoon wie die orthodoxe Chronologie, enden dabei in monumentaler Versteinerung.

Dieses Stück existiert in zwei unterschiedlichen Fassungen. Die erste Fassung erschien 1601 im Quartoformat (sie wird im Folgenden als Q bezeichnet); die zweite Fassung erschien zum erstenmal 1616 im Druck in der Folioausgabe sämtlicher bis dahin erschienener Bühnenstücke Ben Jonsons (mit einer Ausnahme allerdings, denn das frühe Werk The Case is Altered und natürlich auch jene frühen Werke, an denen Ben Jonson als Mitautor arbeitete, wurden nicht aufgenommen).

Was die Uraufführung betrifft, kann nicht nur das Jahr, sondern gar der Monat mit seltener Genauigkeit bestimmt werden. Gabriele Bernhard Jackson, Herausgeber des Stückes in der Reihe The Yale Ben Jonson, listet sie im Anhang II sorgfältig auf: Jonsons eigene Jahreszahlangabe in der Folioausgabe von 1616; die Tatsache, daß Francis Meres in seiner Zitaten- und Namensammlung Palladis Tamia: Wit’s Treasury, die am 7. September 1598 zum Druck angemeldet wurde, Ben Jonson nur unter der Rubrik Tragödie (wohl aufgrund seiner Beiträge zu Gemeinschaftsproduktionen) und nicht als Komödienautor erwähnt; ein Brief vom 20. September von Toby Matthew an Dudley Carleton, in dem ein "a new play called Every Man’s Humor" erwähnt wird; Anspielungen auf Ereignisse des Jahres 1598 wie das Erscheinen von Christopher Marlowes Hero and Leander, die Anspielung auf die "concealments" (vertuschter Besitz von Kronland), die Hinrichtung eines burgundischen Fechtmeisters im Juli 1598, die Wiedereinrichtung des Amtes eines "Provost-Marshal" (eine Art Bürgerwehrkommandeur) in London Anfang September.1

Die erste Druckfassung von Q erschien 1601. Sie wurde Anfang August 1600 bei der Druckergilde gemeinsam mit drei Werken Shakespeares angemeldet und zunächst gesperrt, weil das Copyright eines dieser Stücke Shakespeares, Heinrich V., umstritten war, bald aber ordnungsgemäß eingetragen, um vermutlich Anfang 1601 gedruckt zu werden. Für die überarbeitete Fassung F fehlen solche zuverlässigen Daten, wenngleich Jonson mit der Überarbeitung 1604/5 begonnen haben dürfte. Die erste Fassung spielt in Italien, die zweite in England. Trotz gelegentlich einschneidender Änderungen überwiegen immer noch die Übereinstimmungen. Alle dramatis personæ kommen sowohl in Q (mit italienischen Namen) wie in F (mit englischen Namen) vor; alle leben in beiden Fassungen den gleichen "humour" aus; sie geben sich einer Stimmung hin, die auszuleben sie in ein Wahnbild meist theatralischen Ursprungs versetzt. So auch der Typus des grundlos eifersüchtigen Ehemannes, der in Q Thorello, in F Kitely heißt. Wie es allein der Name in Q bereits suggeriert, ist Thorellos Bühnenvorbild niemand anders als Shakespeares Othello. Vermutlich weil dieser Hinweis im englischen Namen verloren geht, läßt Jonson in F Kitely zusätzlich den Satz sagen: "I ha’ learned so much verse out of a jealous man’s part in a play" (V.v.78) [Soviele Verse habe ich aus der Rolle eines eifersüchtigen Mannes in einem Bühnenstück gelernt]. Die diesem Satz unmittelbar voraufgehenden Knüttelverse stammen nicht aus Othello, sind aber durch das Thema "Hörner im Kopf sind schlimmer als am Kopf" mit dem Stück assoziiert.

Für die orthodoxe Chronologie stellen Jonsons Verweise auf Othello ein ernstes Problem dar. Bei ihr ist das Stück auf das Jahr 1604 datiert; in Ben Jonsons Komödie eifert eine der Figuren Othello nach, und diese Komödie existierte bereits sechs Jahre davor. Und wenn man bedenkt, daß Jonson in seinen frühen Komödien weitere Versatzstücke aus literarischen Werken, vor allem aber aus Bühnenstücken, beliebten und bekannten Bühnenstücken zumal, einbaut wie etwa aus Samuel Daniels Gedichtezyklus Delia oder aus Thomas Kyds The Spanish Tragedy, die 1594 oder davor entstanden sind, so müßte man auch Anspielungen von Thomas Nashe im Jahre 1594 ernst nehmen und, eher konservativ, Othello auf 1594 datieren.

Wie lösen orthodoxe Forscher diese Schwierigkeit, wenn sie sich der Erkenntnis der offenkundigen Parodie auf Othello in der Figur Thorello nicht einfach verschließen wollen?

Die Yale-Ausgabe von Every Man in His Humour – Teil 1

G. B. Jackson weicht der Frage nicht aus:

In Q treibt Jonson klar erkennbar seine Scherze mit Othello; man betrachte die folgenden Anspielungen:

Kitely/Thorello (man achte auf den parodistischen Namen), der gerade zum erstenmal seiner Eifersucht Luft gemacht hat, wird von seiner Ehefrau zu Tisch gebeten, da man auf ihn warte: "Sweetheart, will you come in to breakfast?... I pray thee, good Muss, we stay for you." Da ihr Ehemann seine Antwort nur beiseite spricht, fragt sie: "What ail you, sweetheart, are you not well? Speak, good Muss." Er antwortet: "Troth, my head aches extremely, on a sudden" (I.4.184.191).

Othello, der gerade zum erstenmal seine Eifersucht kundgetan hat, wird von seiner Ehefrau zu Tisch gebeten, da das Essen auf ihn warte:

Des. How now, my dear Othello!
Your dinner, and the generous islanders
By you invited, do attend your presence.
Oth. I am to blame.
Des. Why do you speak so faintly?
Are you not well?
Oth. I have a pain upon my forehead here. (III.3.279-84)
Kitely kommt zu seinen Kumpanen, die in einen Streit verwickelt sind und mit gezogenem Degen einander gegenüberstehen, und ruft aus: "Why, how now? What’s the matter? What stir is here? Whence springs this quarrel?.../Put up your weapons, and put off this rage" (III.4.160-62). Hier sind offensichtlich zwei Reaktionen Othellos auf gezogene Degen miteinander vermengt worden: "What is the matter here?... Why, how now, ho! From whence ariseth this?" (II.3.163, 169) und das berühmte "Keep up your bright swords, for the dew will rust them" (I.2.59). Wie Othello erhält auch Kitely keine Antwort auf seine Fragen; sein darauffolgendes "who enforced this brawl?" (170) erinnert sehr an Othellos "put by this barbarous brawl:... Give me to know/How this foul rout began, who set it on" (II.3.172, 209-10).

Am unverfrorensten ist Stephanos Kommentar zu den Schlägen, die Bobadillo von Giullano einstecken muß: "would any man have offered it in Venice?" (IV.4.10) – eine Parodie auf Lodovicos Kommentar zu Othellos Ohrfeige für Desdemona: "this would not be believed in Venice" (IV.1.251).2

Soweit fürs erste die Yale-Ausgabe. Es sind solcher offen parodierenden Stellen auf Othello einige mehr in Jonsons Stück. So fragt Othello sich, warum er denn geheiratet habe: "Why did I marry?" (III.3.245) und "I had been happy if the general camp,/ Pioners, and all, had tasted her sweet body,/ So I had nothing known: O now for ever,/ Farewell the tranquil mind, farewell content" (III.3.351-5); so auch Thorello: "Tut, then I am familiar with thy haste. / Bane to my fortunes: what meant I to marrie?/ I that before was ranckt in such content." (III.3.14-6)

Doch danach brechen heillos Erklärungsnot und Verwechselspiel herein, offenbar als Folge der Bestrebung, den Rückwärtsgang der Zeitmaschine abzustellen und an dem Jahr 1604 als Entstehungsjahr für Othello festzuhalten.

Die Yale-Ausgabe von Every Man in His Humour – Teil 2

Die Verbindung mit dem Jahr gelingt wie so oft durch den Nachweis einiger vermeintlicher Anspielungen auf die beginnende Regierungszeit Jakobs, die Jahre 1603-6. Und wie so oft wird die Behauptung eines solchen Hinweises mit Adjektiven bekräftigt: unverkennbar, zweifelsohne, nicht zu leugnende, usw.

Q enthält eine deutliche Anspielung auf Jakobs I. A Counterblast against Tobacco. Cobs Aussage über zwei Männer, die der Tabak an den Rand des Todes gebracht hat, wobei einer von ihnen hat "voided a bushel of soot upwards and downwards" [einen Scheffel Teer herauf- und heruntergeröchelt hat] (III.2.102-3) ist ein Echo auf Jakobs I. Behauptung, daß Tabak das Körperinnere verschmutze und infiziere "mit einem fettigen und öligen Ruß, der bei einigen Großkonsumenten von Tabak ... nach ihrem Tod festgestellt worden ist". Die ganze Diskussion zwischen Cob und Bobadillo ist ein versteckter Spott auf einen Disput, bei dem Jakob I. anläßlich einer königlichen Visite an der Universität Oxford als Moderator auftrat...3
Man kann diese Erklärung als die "voie royale" zu der nicht einmal so wissenschaftlichen Erkenntnis begreifen, der übermäßige Konsum von Tabak führe zur Verteerung der Lungen. Die wahrhaft fürstliche Erkenntnis ist indes, daß Othello auf seinem Platz in der orthodoxen Chronologie bleiben kann, wären da nicht doch das Aufführungsjahr 1598, das Registrationsjahr 1600 und das Veröffentlichungsjahr 1601. Denn: es ist sehr wohl von Q die Rede, von der "italienischen" Urfassung, nicht von der überarbeiteten Fassung in F, aus der diese Stellen gestrichen sind. Was wird uns der Herausgeber dazu sagen? Zunächst bietet er eine zweite Anspielung aus dem historischen Eruditionskästchen an:
Cobs Ausruf in Q, nachdem ihn Bobadillo gehauen hat, daß er ist "hammering revenge: oh, for three or four gallons of vinegar, to sharpen my with: Revenge, vinegar revenge..." (III.3.44-5) erscheint als schiere sinnentleerte Schmierenkomödie, bis man sich darüber klar wird, daß es sich um eine Anspielung auf das Gunpowder Plot handelt, das im Vinegar House geplant und durchgeführt wurde, das an das Parlament angrenzte...4
Mag diese Erklärung einleuchtend erscheinen, eine andere ist, da sich Jonson reichlich aus Shakespeares Werk bedient, ungleich naheliegender. Was soll auch das Vinegar House mit dem Trinken von Essig zu tun haben. Essig, "vinegar" oder genauer "eisel", was das gleiche wie "vinegar" bedeutet, wollte aber Hamlet trinken, mit dessen Namen das Wort "revenge" ja verknüpft war. Hamlet war es, der im Grabe Ophelias von Laertes an der Kehle gepackt wird und auf dessen Reaktion Cob anspielt: "Woo’t weep, woo’t fight, woo’t fast, woo’t tear thyself /Woo’t drink eisel, eat a crocodile?/ I’ll do it..." (V.1.270-2).

Weiter: "Othello wurde im November 1604 bei Hofe aufgeführt". Dieses Aufführungsdatum ist durch nichts anderes und nichts weniger begründet als die von Peter Cunningham 1845 "entdeckten" Revels Accounts (Rechnungsbücher des Amtes für Hoflustbarkeiten); sie sind nicht nur zweifelhaft, sondern haben mit hoher Wahrscheinlichkeit als Fälschungen zu gelten.5 Darauf geht der Herausgeber nicht ein, sondern fährt fort: "A Counterblast wurde im Oktober jenes Jahres veröffentlicht, und die Tabaksteuer wenige später erhöht; der Oxforddisput fand Ende August 1605 statt; und das Gunpowder Plot (Schießpulverkomplott) bekanntlich im November des gleichen Jahres. Es scheint über jeden redlichen Zweifel erhaben, daß Q frühestens Ende 1605 verfaßt wurde..."6

Der zweite Teil der Begründung wäre der Widerlegung nicht wert, stünde sie nicht in einer angesehenen Editionsreihe wie The Yale Ben Jonson. Der Autor greift sich zwei "topical allusions" von fragwürdigem Wert heraus und hat nun scheinbar wertfrei bewiesen, was er am Anfang seiner Ausführungen so akribisch nachgewiesen hatte: daß Othello ... nein, daß Every Man in His Humour frühestens 1605 verfaßt sein mußte, zu einem Zeitpunkt, da Jonson möglicherweise bereits mit der Überarbeitung zu der Fassung F begonnen hatte. Shake-speare, shake-time.

Eine Art Verschwörungstheorie überbrückt schließlich den Widerspruch: "The publication of Q in 1601 can only be wondered at as a piece of Elizabethan duplicity."7 [Die Veröffentlichung von Q im Jahre 1601 kann nur als ein Stück elisabethanischer Duplizität bestaunt werden.]

Präparodie oder Prälusion?

Offener stellt sich dem Problem Robert N. Watson.8 "Der Grad, in dem Kitelys Raserei der konventionellen theatralischen Darstellung des Hahnreis entspricht, erhellt daraus, daß mehrere seiner Äußerungen so auffallend parallel zu Othello sind, daß Kritiker darüber spekuliert haben, wie ein 1601 veröffentlichtes Stück ein 1604 geschriebenes Stück hätte parodieren können."9 Und darauf gleich die Antwort: "Was parodiert wird ist natürlich ein Satz theatralischer Standardmarkierungen der Eifersucht, die Shakespeare in weniger parodistischem Geiste benutzen sollte."10 Die Antwort beantwortet die eigentlich interessierende Frage nicht. Shakespeare und Ben Jonson bedienen sich nicht selbständig aus dem theatralischen Standardrepertoire der Eifersucht, Shakespeare machte auch keine deparodierenden Anleihen bei Ben Jonson, sondern Ben Jonson griff sich ganze Brocken aus Shakespeare-Stücken, die folglich bereits existiert haben müssen, und nannte zu allem Überdruß eine Othello nachahmende Figur Thorello! Die andere Möglichkeit wird auf einem rückwarts temperierten, vor Morschheit in Schieflage geratenem Klavier gespielt und bedarf eines besonders hohen Tenors, um die instrumentalen Mißtöne zu überdröhnen: Ben Jonson entwarf seinen Thorello in parodistischer Antizipation von Shakespeares Othello, und letzterer hob diese Präparodierung durch nachträgliche Deparodierung wieder auf, indem er Ben Jonsons vorweggenommenen Othello namens Thorello rückwirkend zurücknahm.

Und doch ist es gerade diese Erklärung, die angeboten wird. Jonsons "parodierende Vorwegnahme" muß noch in einigen anderen Fällen herhalten, die, betrachtete man sie in der natürlichen Zeitperspektive, die orthodoxe Chronologie an einigen Stellen erschüttern. In Every Man Out of His Humour, das 1599 uraufgeführt und ebenfalls 1601 gedruckt wird, sind ähnliche Anspielungen auf Was Ihr Wollt (1600-1602 angesetzt) und Der Sturm (1611/12) vermutet worden; in The Case is Altered, 1597/98 geschrieben und 1609 gedruckt, auf Wie Es Euch Gefällt (1600) und Hamlet (1601). Sowohl bei der Antizipation von Was Ihr Wollt in Every Man Out of His Humour als von Othello in Every Man in His Humour hat, so Watson, Jonson "beunruhigendes Vorwissen"11 über Shakespeares Stücke gezeigt. "In beiden Fällen scheint die Übereinstimmung anzudeuten, wie geschickt Jonson das wesentliche Material des konventionellen Dramas vorweg zu beschlagnahmen verstand, ein Material, das Shakespeare aus dem Bereich der Parodie zu befreien gezwungen war, in den es Jonson verbannt hatte."12

So geschickt, in der Tat, nahm Jonson dieses Material parodistisch vorweg, daß er gelegentlich Shakespeares Text fast wortgetreu vorausahnte, so daß Shakespeare ohne Selbstverleugnung Jonsons Vorgaben als Vorlage verwenden konnte:

Nachdem in I.6. von Ben Jonsons The Case is Altered Paulo seinem Freund Angelo in einer ähnlichen Weise seiner Freundschaft versichert hat wie Hamlet Horatio in III.2, entspinnt sich zwischen Paulo und Angelo folgender Dialog:

Angelo. Why starts your Lordship?
Paulo. I thought I heard
My father comming hitherward, list, ha?
Angelo. I heare not any thing,
It was but you imagination sure.
In Hamlet I.3.:
Hamlet. My father – methinks I see my father –
Horatio. Where, my lord?
Hamlet. In my mind’s eye, Horatio.
In Jonsons The Case is Altered finden sich mehrere Anspielungen auf Hamlet und Wie es Euch gefällt, die nach der orthodoxen Chronologie erst zwei bis drei Jahre später entstanden sind. Auch hier läge eine Aufgabe für den Faktenjongleur und den Wortakrobaten, die Hauptdarsteller in der Parodie, an der Datierung von Othello auf das Jahr 1604 festzuhalten.

1 Ben Jonson: Every Man in His Humour, edited by G.B. Jackson, New Haven and London 1969, S. 224.
2 Ebenda, S. 237-8.
3 Ebenda, S. 238.
4 Ebenda, S. 238.
5 Siehe Detobel, Robert: Eine Chronologie! Eine Chronologie! Mein Pferd für eine Chronologie, in: Neues Shakespeare-Journal, Band 2, S. 115.
6 G.B. Jackson, a.a.O., S. 238.
7 Ebenda, S. 239.
8 Watson, Robert N., Ben Jonson’s Parodic Strategy, Cambridge, MA, 1987.
9 Ebenda, S. 33.
10 Ebenda.
11 Ebenda, S. 50.
12 Ebenda.